Wilo 19. August 1963 Inneres eines Hauses: Die Herdseite. Man erkennt in der Mitte den Herd mit dem Backofen, auf diesem Töpfe. Dahinter, auf einem Wandabsatz sind weitere Töpfe zu sehen. An der Vorderseite des Herdes im Lehm einfache Ornamente.

Töpferei in Istalif

21.08.2021 | LAB 4

Erfahrungen mit der Töpferei in Kabul und Istalif vor 50 Jahren
Gastbeitrag

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Die Stuttgarter Badakhshan dokumentierte das Töpferhandwerk in Kulala (Badakhshan) 1962/63. Dort töpferten Frauen, ohne Töpferscheibe. Das Entangled-Projekt zeigt und kommentiert Fotografien, Film und Texte der Expedition. Eine weitere Verflechtungsgeschichte erzählt hier die Projektteilnehmerin Gila Borcherding.

Nach dem Vorbild des amerikanischen „Peace Corps“ wurde im Beisein von John F. Kennedy 1963 der Deutsche Entwicklungsdienst gegründet. Als erste Entwicklungshelfer reisten mein Mann und ich 1964 nach einer dreimonatigen Ausbildungszeit nach Kabul aus. Dort bereiteten wir die Ankunft der ersten Gruppe von Freiwilligen vor. Häuser mussten angemietet und eingerichtet und Kontakte zu den afghanischen Partnern und der Botschaft geknüpft werden. Überraschend stellte ich fest, dass bei Mietpreisverhandlungen häufig Frauen selbstsicher die Gespräche führten, Entscheidungen fällten und Mietverträge abschlossen. Einige äußerten sich verwundert darüber, dass die erwartete DED-Gruppe vorwiegend aus jungen Männern bestand.

In der Kunsthandwerkerschule unter afghanisch-deutscher Leitung, in der ich als Ausbilderin in den Töpferklassen arbeitete, wurden nur Schüler im Schreiner-, Schneider-, Maurer-, Drucker-, und Töpferhandwerk unterrichtet. Es gab zu dieser Zeit keine Schülerin an der Schule, auch nicht in der Schneiderklasse. Die Schüler kamen aus dem ganzen Land und lebten in einfachen Unterkünften mit großen Schlafsälen auf dem Gelände.

Die Werkstatt war durch einen deutschen Töpfermeister mit Geräten und Werkzeug aus Deutschland vorbildlich ausgestattet worden: stabile Drehscheiben mit ruhig laufenden Schwungrädern und einem großen elektrischen Brennofen eines renommierten Herstellers. Er stand übrigens 2002, nach all den Kriegen, als einziger Zeuge zwar angeschossen, doch aufrecht im verwüsteten Werkstattgebäude. Der Lehrplan orientierte sich damals an deutscher Lehrlingsausbildung. Materialien wie Glasuren und Glasurrohstoffe wurden importiert. Blumenvasen, für die sich höchstens Ausländerinnen interessierten, wurden in allen Größen und Formen mit verschiedenen Techniken hergestellt.

Die Stuttgarter Zeitung berichtete 1966 in einem Artikel über die Kunsthandwerkerschule in Kabul.

Meine anfänglichen Bedenken, ob die erwachsenen Schüler mich als junge Frau respektieren würden, stellten sich als unbegründet heraus. Überaus verwundert waren sie, dass ich an der Töpferscheibe drehen konnte. Wie auch bei uns früher, war dies in Afghanistan eine reine Männertätigkeit. Die Lehrlinge ließen sich willig anleiten und einige konnten, dank ihrer Kräfte, auf der Scheibe größere Gefäße drehen als ich.

Nördlich von Kabul liegt am Fuße der Paghman-Berge das malerische Töpferdorf Istalif, eine besondere Touristenattraktion. Die Töpfer drehten trotz wackeliger Scheiben sehr kunstvoll Schüsseln, Teller und große Platten, die in die typische blaugrüne Glasur getaucht wurden. Später kamen die, von Touristen so geschätzten mit Mustern bemalten Keramiken hinzu. Doch Einheimische gehörten kaum zu den Kunden, da die festes Gebrauchsgeschirr wünschten, das aus Fernost billig importiert wurde. Die bei niederen Temperaturen „gebackene“ Istalifer Ware schlug sich leicht ab und war beinahe bröselig weich.

Die Handwerkerschule bot den Töpfereien stabile Drehscheiben und Ausbildungsplätze an. Doch ich erinnere mich an eine sehr abweisende bis misstrauische Haltung der Töpfer. Ein Istalifer Schüler wurde ausgebildet, doch er konnte sein Können zuhause mangels geeigneter Tone und fehlender  Brennmöglichkeiten bei hohen Temperaturen, nicht umsetzen.

Eine japanische Organisation gründete Mitte der 60er Jahre in Kabul eine Keramikmanufaktur. Für diesen Betrieb qualifizierte die Schule die Lehrlinge vermehrt auf das Herstellen von Gießformen aus Gips, gegossene Ware und die Massenherstellung von Gebrauchsgeschirr. Doch da die Manufaktur nicht so preisgünstige und perfekte Ware wie die aus Fernost herstellen konnte, musste sie nach und nach ihren Betrieb einstellen. Im damals noch jungen Parlament saßen einflussreiche Händler, die Zölle auf ausländische Ware verhinderten. So wurden einheimische Produkte nicht, wie im benachbarten Iran, zu Beginn der eigenen Produktion geschützt.

Neben der praktischen Ausbildung bekamen die Schüler Unterricht im Rechnen, Schreiben, Lesen, in Fachkunde und in Deutsch. So weit ich das erfahren konnte, arbeiteten die Schüler später in ihrem jeweiligen Heimatdorf nicht als Töpfer, sondern zumeist als Lehrer.

Als in den 70er Jahren die Unruhen, Revolutionen und der 40- jährige Krieg begann, wurden die Schulgebäude in Kabul zeitweise vom Militär besetzt. Die Touristenkunden für die Töpfer in Istalif blieben sowieso aus und das Dorf selbst wurde im Verlauf der Wirren stark zerstört.

Nach dem Sturz der Taliban, zu Beginn dieses Jahrhunderts, beteiligte sich die Bundesregierung beim Wiederaufbau und Ausstattung der Töpferwerkstätten in Istalif. Wann können die Kunden, auch die aus dem Ausland, wiederkommen?

Autorin:
Gila Borcherding